Lesen

Ohne Lesen geht es nicht. Schrift begegnet uns im Alltag auf Schritt und Tritt - bei der Arbeit, an der Bushaltestelle, bei Behörden, im Supermarkt ...

 Lesen ist heutzutage wichtiger denn je. In kaum einem Job kommt man noch ohne diese wichtige Schlüsselqualifikation aus.

Wer des Lesens und Schreibens nicht mächtig ist, der ist von einem großen Teil unserer Kultur abgeschnitten. So geht es in diesem Land ca. 7,5 Mio. Analphabeten.
Aber Lesen ist nicht nur für den beruflichen Erfolg und die Bewältigung des Alltags wichtig. Lesen bedeutet viel mehr. Lesen weckt Phantasie und Kreativität. Lesen fördert die Sprachfähigkeit. Kurzum: Lesen unterstützt die Entwicklung der gesamten Persönlichkeit.

Was versteht man eigentlich unter „Lesen"?

Manche Kinder lesen in einem angemessenen  Lesetempo, flüssig ohne hängen zu bleiben. Aber sie verstehen nicht, was sie gelesen haben. In diesem Fall handelt es sich nicht um Lesen. Erst wenn der Leser/ die Leserin dem Text Informationen entnimmt und an diese Informationen mit eigenen Erfahrungen, Vermutungen und Fragen anschließt, kann man vom Lesen sprechen.

Warum verlieren viele Kinder so schnell die Lust am Lesen?

Heutzutage ist es wichtiger denn je, bereits Kindern Türen zu öffnen und Wege aufzuzeigen, dass Lesen ein wichtiges Handwerkszeug für die eigene Zukunft ist, aber auch ein fantastisches Mittel um selbstvergessen in andere Welten einzutauchen. Dieses Heranführen an das Lesen beginnt nicht erst mit dem ersten Schultag.

Das Lesen als attraktive Freizeitbeschäftigung hat eine harte Konkurrenz bekommen. Fernsehen, Computerspiele, Hörspiele und andere Medien tragen uns doch so viel leichter in andere Welten. Dadurch sind Kinder, wenn sie in die Schule kommen, in der Regel bereits mit komplexen Handlungen aus Film und Fernsehen, aber auch durch das Vorlesen vertraut. An diesen Stand können sie beim Lesen lernen aber noch nicht anknüpfen. Erstlesetexte sind zwangsläufig wesentlich einfacher strukturiert.
Wie aber kann man Kinder darin unterstützen, nicht das Handtuch zu schmeißen angesichts des Berges von Arbeit, der da auf sie zukommt? Lesen lernen ist ein komplexer Prozess. Wie können Kinder durchhalten, bevor sie einmal in den Genuss des selbstvergessenen Lesens kommen?

Welche Kriterien muss man an Erstlesetexte stellen?

Erste Texte beinhalten in der Regel aussagekräftige Bilder. Dies ist ganz wichtig, da Kinder gerade am Anfang noch Unterstützung brauchen, um das Gelesene zu verstehen und zu verarbeiten. Mithilfe der Bilder können sie Hypothesen bilden und überprüfen. Außerdem lockern Bilder den Text auf. Nichts ist am Anfang schlimmer, als ein großer Textumfang. Ein Absatz darf zunächst aus nur wenigen Zeilen bestehen und sollte als Flattersatz gesetzt sein. Die Schrift darf dabei nicht kleiner als 14 Punkte sein und sollte serifenlos sein.
Ein geeigneter Text für Leseanfänger besteht aus kurzen Sätzen, kurzen Wörtern und einfachen Silbenstrukturen. Diese Kriterien sollten für Erstlesebücher eigentlich selbstverständlich sein. Die Realität sieht leider oftmals anders aus. Es ist sinnvoll, wenn man sich nicht nur auf die Altersangabe des Klappentextes verlässt, sondern den Text stichpunktartig nachprüft.

In der Schule lesen:

Leseunterricht muss interessant und spannend sein. Und er muss - und das ist ganz wichtig - vermitteln, dass Lesen Genuss bedeutet, abtauchen in andere Welten, Entspannung. Das gelingt vor allem dann, wenn der Schwerpunkt nicht nur in der Vermittlung des reinen „Handwerks" liegt. An welchen Inhalten sind die Kinder interessiert? Was weckt ihre Neugierde?
Leider ist es gerade am Anfang nicht leicht, für den Leseanfänger den geeigneten Lesestoff zu finden, den er auch bewältigen kann. Größere Texteinheiten kommen noch nicht in Frage. Eine Alternative sind Lesespiele - z.B. Lesememories oder Lesedominos. Hier können die Kinder zunächst auf der Wortebene üben. Spiel und Spaß kommen nicht zu kurz. Neben der Synthese muss das Hauptaugenmerk auf alle Fälle auf dem Lese-Sinnverständnis liegen.
Das spielerische Element sollte das Lesen lernen noch längere Zeit begleiten. Hier können sich Kinder ihre Motivation holen, wenn es beim Lesen einmal zu anstrengend wird.
Sobald die Kinder kleinere Texteinheiten bewältigen können, eignen sich u.a. Ausmalaufgaben oder Rätsel.
Besonders effektiv ist es, wenn das Lesen mit dem Schreiben verbunden wird. Hier wären zum Beispiel kleine Geschichten zu nennen, bei denen das Ende fehlt. Die Kinder müssen die Geschichte dann selber zu Ende schreiben. Eine weitere Möglichkeit ist natürlich auch das Schreiben eigener Geschichten. Diese können die Kinder dann am Computer ins Reine tippen und mit schönen Schriftarten, Cliparts etc. gestalten. Solche Geschichten sollten dann in einem Ordner abgeheftet werden, der für die ganze Klasse zugängig ist. Die Kinder können sich gegenseitig daraus vorlesen. Vielleicht erscheint ja auch die ein oder andere Geschichte in der Schülerzeitung.
Für schreib- und leseschwache Kinder eignet sich auch die Gestaltung von Comics. Hier steht die sprachliche Komponente im Vordergrund. Die Kinder können ihre kleinen Geschichten selber malen oder sich aber mit Stempeln oder Schablonen behelfen. Sie verschriften nur die Teile ihrer Geschichte, die sie sich zutrauen, den Rest erzählen sie.

Hier ist eine schöne Webseite, auf der man Comics selber erstellen kann:

Langsam erhöht sich dann der Leseumfang, den die Kinder bewältigen können.

Der Klassenraum kann viele Lesegelegenheiten aufweisen. Das Lesematerial sollte dabei für jedes Kind frei zugänglich sein. Dabei hilft es dem einzelnen Kind, wenn das Material vom Lehrer vorsortiert wurde. So weiß jedes Kind in welcher „Kiste" es Lesestoff findet, den es bewältigen kann.

So eine Klassenbücherei muss eine große Bandbreite an Interessen abdecken - Prosa und Sachtexte aber auch Lesespiele. Neben längeren Texten ist es auch wichtig, kleine Texte anzubieten, weil nicht jedes Kind genügend Geduld und Ausdauer für umfangreichere Texte besitzt. Da lohnt ein Blick ins Internet. Hier ein paar Beispiele von Webseiten, die interessante Themen für Kinder sehr gut aufbereiten:

Helles Köpfchen

Kinderbuchforum

Blinde Kuh

Überhaupt ist der Computer und das Internet ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor.

Und last but not least: Keine Angst vor Comics. Hierbei handelt es nicht zwangsläufig um „minderwertige Literatur." Letztendlich fördert all das die Lesekompetenz eines Kindes, was das Kind motiviert.

Nicht zu unterschätzen ist auch das Leseklima in der Klasse. Gibt es eine Leseecke? Gibt es ein Lesesofa, eine Hängematte oder einen Schaukelstuhl etc. auf dem man sich nach Herzenslust beim Lesen herumlümmeln kann? Gibt es einen Teppich auf dem alle Kinder liegen können, wenn ihnen vorgelesen wird? Wenn es bei solch einer Vorleserunde auch noch Kekse zu knabbern gibt, umso besser. Können die Kinder während sie einer Geschichte lauschen dazu malen oder auch nur kritzeln? Alles was die Kreativität anregt, ist gut. Mit den Gemälden, die zu einer Geschichte entstehen, lässt sich darüber hinaus auch wunderbar das Klassenzimmer dekorieren.

Es ist bestimmt nicht immer leicht, für die gesamte Klasse ein Buch oder einen Text zu finden, der für alle gleichermaßen geeignet ist. Gerade in den ersten Grundschuljahren klaffen die Fähigkeiten der einzelnen Schüler doch stark auseinander. Hier eignen sich Gruppenlektüren. Kleine Gruppen von maximal fünf Schülern erarbeiten einen Text oder auch ein Buch, was dann später der restlichen Klasse vorgestellt wird.
Dieses Verfahren eignet sich übrigens auch gut für ältere Schüler. Die Schüler sollten hierbei auf alle Fälle selber entscheiden, welches Buch sie vorstellen wollen. Ein guter Nebeneffekt ist, dass der Lehrer auf diese Art und Weise erfährt, was die Schüler interessiert und welche Literatur sie bevorzugen. So kann er seinerseits passende Angebote machen.

Die Lesemotivation wird vor allem durch die selbstgewählte Lektüre gefördert. Daher ist es gut, wenn im Schulalltag genügend Zeit zur Verfügung steht, damit das einzelne Kind sich mit seiner Lektüre auch einmal zurückziehen kann. Zu diesem Zweck ist es nicht schlecht, wenn jedes Kind unter seinem Pult ein selbstgewähltes Buch liegen hat, in das es sich zwischendurch vertiefen kann, z.B. wenn es seine Aufgaben erledigt hat.

Wie können Eltern die Lesefreude ihrer Kinder fördern?

Das Lesen lernen beginnt nicht erst in der Schule. Schon in den ersten Lebensjahren, während der Sprachentwicklung, werden die Grundlagen für die Leseentwicklung gelegt. Alles was der Sprachentwicklung dient, dient auch dem späteren Lesen und Schreiben. Es ist so wichtig, dass Eltern mit ihren Kindern sprechen. Von besonderer Bedeutung ist auch der spielerische Umgang mit Sprache: Kinderreime und -lieder, Gedichte und Wortspiele. Und nicht zu Vergessen: Das gemeinsame Betrachten von Bilderbüchern, das Vorlesen von Geschichten. All das fördert die Sprachentwicklung und die sogenannte phonologische Bewusstheit. Bei der phonologischen Bewusstheit handelt es sich um die Sprachbewusstheit, die ein Kind mit vier bis fünf Jahren erwirbt. Das Kind erlangt hierbei Kenntnisse über die lautliche Struktur der Sprache. Dies ist eine Grundvoraussetzung für das Lesen und Schreiben lernen.

Hier sind einige gute Infoseiten zur Förderung der Sprachentwicklung:

Sprachheilberater

Sprachförderung

Eltern können schon im Vorfeld eine Menge unternehmen, um ihren Kindern den Spaß an Büchern zu vermitteln. Wichtig ist dabei auch der eigene Umgang mit Büchern. Eltern sind ihren Kindern auch beim Lesen ein Vorbild. Es ist für Kinder eine wichtige Erfahrung Mama und Papa dabei zu erleben, wie sie selbstvergessen in Bücherwelten abtauchen. Also liebe Eltern: Schaffen Sie sich im Alltag Zeit und Raum, um selbst regelmäßig zu einem „guten" Buch zu greifen.
Kinder sollten (auch wenn sie noch nicht lesen können) jederzeit Zugang zu Büchern haben. Manchmal werden Bücher noch „zweckentfremdet". Der ein oder andere dicke Wälzer muss vielleicht schon mal als Berg für Spielfiguren herhalten. Solange die Kinder mit dem Buch sorgsam umgehen, ist dies kein Problem. Babys und Kleinkinder haben Bücher auch schon mal zum Fressen gern. Gerade für diese Altersgruppe gibt es erste Bücher, die Nuckel- und Kauattacken problemlos überstehen.

In gemütlicher Atmosphäre können sich Eltern mit ihren Kindern Bilderbücher ansehen. Hier ist vor allem das gemeinsame Sprechen über das Gesehene wichtig. Mit ca. 3 Jahren, kann man dem Kind bereits kleine Texteinheiten zu den Bildern vorlesen. Das Erzählen sollte aber weiterhin im Vordergrund stehen. Und wenn das Kind dann eine völlig neue Geschichte erfindet - auch gut. Langsam aber sicher kann dann der Umfang des eigentlichen Vorlesens erweitert werden. Hierbei muss man immer im Auge behalten, wie lange sich ein Kind schon auf einen vorgelesenen Text konzentrieren kann. Haben Kinder erst einmal „einen Narren" an einem Buch gefressen, so wollen sie dieses immer wieder vorgelesen bekommen. Gehen Sie auf den Wunsch Ihres Kindes ein. Es ist ein Zeichen dafür, dass es sich intensiv mit der Geschichte auseinandersetzt.

Nicht zu unterschätzen ist das abendliche Vorlesen. Dieses Ritual sollte auch noch bis weit in die Grundschulzeit beibehalten werden. Mit zunehmenden Lesefertigkeiten des Kindes, kann man sich dann beim Lesen abwechseln. Denken Sie aber immer daran, dass es in erster Linie eine Gute-Nachtgeschichte ist und keine abendliche Leseförderung.

Eines ist beim Vorlesen und auch beim eigenständigen Lesen sehr wichtig: Atmosphäre, Atmosphäre, Atmosphäre. Couch, Bett, Sessel, Fußboden, Hängematte. Das sind alles prima Orte zum Lesen und Vorlesen. Gerade für jüngere Kinder ist hier auch das Kuscheln mit den Eltern ein nicht zu unterschätzender Motivationsfaktor. Ein Schreibtisch ist hingegen der ungeeignetste Ort um sich beim Lesen wirklich wohl zu fühlen.

Aber Lesen ist ja nicht nur in der Freizeit gut. Schrift sollte im Alltag allgegenwärtig sein. Nur so können Kinder erfahren, welche wichtige Rolle das Lesen und Schreiben in unserer Gesellschaft spielt. Auf einer Tafel in der Küche können zum Beispiel alle Familienmitglieder aufschreiben, was eingekauft werden soll, was sie mal wieder gerne Essen möchten oder welche Termine anstehen. Kinder im Vorschulalter können sich hier mit Zeichnungen zu Wort melden. Eine andere Möglichkeit sind Bildkärtchen, die auch noch das entsprechende geschriebene Wort enthalten. So kann das Kind z.B. auf die Einkaufsliste immer seine Wünsche setzen. Es lernt hierbei ganz nebenbei die Alltagsfunktion von Schrift.

Und wie sieht die Leseförderung bei Schulkindern aus?

Wichtig ist vor allem, die Interessen des Kindes im Auge zu behalten. Ein Kind sollte vor allem das lesen was es interessiert. Hierbei ist es natürlich gerade am Anfang schwierig, passende Texte zu finden, die das Kind bewältigen kann (s.o.). Keinesfalls sollte man sich nur auf Fibeltexte beschränken. Wichtig ist auch hier wieder: Vergessen Sie bei der Förderung die Atmosphäre nicht. Bei Kindern die sich schwer tun, sind kleine Texteinheiten motivierender. Hier eignen sich sehr gut Lesespiele wie Lesememories, Dominos etc. Oder wie wäre es einfach mal mit einer Schatzsuche durch die Wohnung! Mithilfe kleiner Notizzettel auf denen Hinweise stehen, muss das Kind einen Schatz (z.B. Ein Stück Schokolade) finden.
Auch der Computer eignet sich gut für eine Leseförderung. So gibt es mittlerweile ein vielfältiges Angebot an käuflich zu erwerbender Software und Computerspielen, mit denen man das Lesen fördern kann. Aber auch im Internet finden sich viele interessante Angebote.

Die Gelegenheiten, die sich zum Lesen nutzen lassen, sind vielfältig.
Ist Ihr Kind ist ein Tüftler? Da eignen sich Bausätze mit Bauanleitung hervorragend als Leseförderung.

Kochen und backen nach Rezept: Das Lesen geschieht hierbei fast nebenbei und das Ergebnis ist bestimmt lecker.


Lesen kann man nicht nur in den eigenen vier Wänden.

In Büchereien sind die Kinderabteilungen heute oft sehr anregend gestaltet. Es gibt eine Menge zu entdecken. Viele Büchereien richten sich darüber hinaus mit vielfältigen Angeboten an Kinder. Es lohnt sich immer auf den Veranstaltungskalender der örtlichen Bücherei zu schauen.

Kinder und Museum: Auch das kann spannend sein. Wichtig ist hierbei, Museen zu wählen, die Kinder direkt ansprechen und Themen anbieten, die das Kind interessiert. Gerade im Museum gibt es immer wieder Gelegenheiten zum Lesen.

Unter der folgenden Adresse finden Sie geeignete Museen in Ihrer Region:

Museumsführer

Auch alltägliche Gelegenheiten lassen sich wunderbar zum Lesen nutzen: Landkarten, Wegbeschreibungen, Straßenschilder, Einkaufszettel, Produkte und Produktbeschreibungen.
Das Kind will wissen, „was da steht!" Lesen Sie ihm nicht vor. Helfen Sie ihm dabei, es selber zu lesen.

Der liebe Fernseher

Dem Fernsehen wird nachgesagt, dass es die Lesemotivation behindert. Das kann stimmen, muss es aber nicht unbedingt. Eine vernünftige Umgangsweise mit dem Medium will gelernt sein. Und auch hier gilt wieder: Die Eltern sind das Vorbild. Eine ständige Dauerberieslung ist nicht nur der Lesemotivation abkömmlich. Sie ist schädlich. Es ist mittlerweile hinreichend bewiesen, dass stundenlanger Fernsehkonsum Kinder in ihrer (Sprach-)Entwicklung beeinträchtigt. Daher hat ein Fernseher auch wirklich nichts im Kinderzimmer verloren. Die Frage ist überhaupt, ob ein Haushalt mehr als einen Fernseher braucht.
Sendungen sollten gezielt ausgesucht werden. Das gilt auch für die Erwachsenen. Mit der Fernsehzeitung lässt sich darüber hinaus auch eine gute Leseförderung betreiben. So können sich alle Familienmitglieder ihr Fernsehprogramm zusammenstellen.

Kinder unter vier Jahren sollten mit dem Fernseher so wenig wie möglich in Berührung kommen. Sendungen für diese Altersgruppe fördern die Kindesentwicklung in keiner Weise. Natürlich soll man Kindern das Fernsehen nicht grundsätzlich verbieten. Aber für Vorschul- und Grundschulkinder ist die tägliche halbe Stunde vor dem Fernseher ODER dem Computer genug. Am Wochenende darf es dann auch gerne mal ein altersgerechter Film sein.

Bei der Leseförderung sind der Fantasie eigentlich keine Grenzen gesetzt. Wichtig ist, das Kind beim Lesen nicht unter Druck zu setzen. Manchmal ist weniger auch mehr. Und der Spaß sollte bei der ganzen Sache auch nie zu kurz kommen.

Jungen und Lesen

Lesen Jungen wirklich weniger und schlechter als Mädchen? Die wissenschaftlichen Untersuchungen der letzten Jahre lassen daran keinen Zweifel. Immer weniger Jungen können sich für Bücher begeistern. Aber woran liegt das?

Erziehung, Bildung und auch das Lesen werden von Jungen oft als weiblich wahrgenommen. Das ist kein Zerrbild der Jungen. In der Regel treffen Kinder bis zu ihrem zehnten Lebensjahr in Kindergarten und Grundschule nur auf Frauen. Jungen in diesem Alter brauchen aber auch männliche Vorbilder. Das gilt nicht nur für das Lesen. Was in den Bildungseinrichtungen fehlt, sind Erzieher und Lehrer.
Nehmen Jungen das Lesen als weiblich wahr, können sie sich nur schwer damit identifizieren. Hier liegt schon mal die erste Hürde.
Die nächste Hürde sind die Bücher selber. Jungen werden oft mit Büchern konfrontiert, die sich inhaltlich eher an Mädchen richten oder wo sie es schlimmstenfalls sogar mit schwachen männlichen Protagonisten zu tun haben. Woran liegt das?
Da es in der Regel Frauen sind, die Kinder mit Büchern konfrontieren, werden diese auch eher nach der weiblichen Interessenlage ausgesucht. Das geschieht meist ganz unbewusst.
Der Buchmarkt hat schon lange erkannt, dass zu einem großen Anteil Mädchen und Frauen die Käufer von Literatur sind. Dies wirkt sich auf Inhalt und Aufmachung der Bücher aus.

Worin unterscheiden sich weibliche und männliche Leseinteressen?

Bei den Leseinteressen gibt es eindeutig männliche und weibliche Interessenschwerpunkte. Dies gilt besonders für die Zeit des Leseerwerbs und der Pubertät. Später erweitert sich die Schnittmenge der Themen, die sowohl Männer wie auch Frauen ansprechen. Mädchen bevorzugen schon sehr früh Literatur, bei der sie sich thematisch in den/die Protagonisten/in einfühlen können. Dies ist in der Regel in fiktiven Romanen der Fall. Aus dieser Motivation heraus bevorzugen Mädchen durchaus Bücher, die Figuren mit einer gewissen Tiefe aufweisen - Figuren, die psychologisch ausgefeilter sind.
Jungen haben häufig Probleme mit kontinuierlichen Texten. Es fällt ihnen schwerer, diese zu reflektieren und zu bewerten. Das heißt aber nicht, dass Jungen keine fiktionalen Texte lesen. Doch bevorzugen sie Geschichten, in denen die Handlung eher von außen geleitet wird, also Abenteuer und Action. Jungen identifizieren sich gerne mit starken Helden. Eine zu starke Betonung des Innenlebens der Protagonisten lehnen Jungen eher ab. Dies mag klischeehaft oder gar sexistisch erscheinen, aber Jungen im Grundschulalter haben mit Emanzipation noch nichts am Hut, und Mädchen sind einfach nur doof. Das muss man im Hinterkopf behalten, wenn es um Literatur geht, die Jungen ansprechen soll. Den Anspruch, dass Kinder doch bitte „gute" Literatur lesen sollen, und dass Action und Abenteuer da nicht unbedingt zugehören, sollte man gründlich überdenken.
Jungen sind bei der Auswahl ihrer Leseinteressen auch stärker an Sachthemen interessiert als Mädchen. Nicht selten sind Jungen daher auch eher mit Sachbüchern hinter dem Ofen hervorzulocken als mit fiktiven Texten.

Heißt das, dass Jungen für den anspruchsvollen Roman nicht zu begeistern sind? Nein, das heißt es keineswegs. Wenn der Leseeinstieg gelungen ist und Jungen am Ball bleiben, so können sie durchaus ihren Lesehorizont erweitern. Nur tun sie dies in der Regel später als Mädchen, und diese Zeit sollte man ihnen auch lassen. Wie gesagt, beim erwachsenen Leser wird die Schnittmenge der Leseinteressen zwischen Frauen und Männern größer.

Ein literarisches Phänomen der letzten Jahre heißt Harry Potter: Das ist endlich mal eine Figur, die Jungen und Mädchen, Frauen und Männer gleichermaßen begeistert. Warum? Mit dieser Frage haben sich bereits Wissenschaftler beschäftigt. Die Autorin Joanne K. Rowling hat ein abenteurliches und actionreiches Werk geschrieben. Auf der anderen Seite besitzen ihre Figuren aber auch psychologische Tiefe. Die innere Motivation der Protagonisten und Antagonisten spielen eine große Rolle. Durch die Ausgewogenheit an außengeleiteten Handlungen und innerer Motivation bedient Joanne K. Rowling somit männliche und weibliche Interessen.

Kritische Phasen beim Leseerwerb

Beim Leseerwerb gibt es zwei kritische Phasen. Diese Phasen werden auch als Lese-Knick bezeichnet. In diesen Phasen nimmt das Interesse am Lesen merklich ab. Dies ist sowohl bei Jungen wie auch bei Mädchen zu beobachten. Bei Jungen ist diese Phase jedoch wesentlich stärker und nachhaltiger ausgeprägt. Mädchen finden meist schneller wieder zum Lesen zurück, während sich Jungen eher vom freiwilligen Lesen verabschieden.
Der erste Leseknick liegt kurz nach dem Erwerb des Alphabets. Der zweite Leseknick liegt in der Pubertät. In beiden Phasen greifen Kinder und Jugendliche verstärkt auf andere Medien wie den Computer zurück.


Mädchen lernen leichter Lesen und Schreiben als Jungen

Die fehlenden männlichen Vorbilder und die tendenziell eher auf Mädchen ausgerichtete Literatur sind aber nur zwei Gründe dafür, warum sich Jungen mit dem Lesen so schwer tun. Tatsache ist, dass ca. 80% der Kinder, die mit dem Schriftspracherwerb Probleme haben, Jungen sind.

Das Gehirn von Jungen zeigt eine andere Struktur und somit auch eine andere Verarbeitung von Sprache. Dabei ist es wissenschaftlich umstritten, ob diese Strukturunterschiede sozialisationsbedingt sind oder naturgegeben. Tatsache ist jedoch, dass Jungen anfälliger für Sprachstörungen sind und ihnen auch das Lesen und Schreiben lernen nicht ganz so leicht von der Hand geht wie Mädchen. Auf diese Tatsache müsste gerade während der Zeit des Schriftspracherwerbs besonders Rücksicht genommen werden. Jedoch waren Geschlechtsunterschiede in diesem Zusammenhang bisher kein Thema. Das ändert sich zum Glück in letzter Zeit.

Wenn Jungen beim Schriftspracherwerb mit Mädchen verglichen werden, so werden ihre Leistungen schnell als schlechter bewertet. Vielleicht brauchen Jungen aber auch nur ein bisschen mehr Zeit. Es wäre gut, wenn Jungen diese Zeit bekämen und sich nicht zwangsläufig mit den schnelleren Mädchen vergleichen müssten, was in den ersten Grundschuljahren zwangsläufig der Fall ist. Hier wäre eine geschlechtsspezifische Förderung vielleicht gar nicht schlecht.
Auch die diversen Methoden, mit denen Kinder Lesen und Schreiben lernen, sind bei Jungen und Mädchen anscheinend unterschiedlich erfolgreich. Hier stehen sich vor allem Lehrgangskonzepte und offene Unterrichtsmethoden gegenüber. In Lehrgangskonzepten findet eine Steuerung des Schriftspracherwerbs durch den Lehrer statt. Das Material ist stark vorstrukturiert. Bei den offenen Unterrichtsmethoden liegt die Idee zugrunde, dass Kinder die Schriftsprache ähnlich natürlich und selbstverständlich lernen wie den primären Spracherwerb. Der Schriftspracherwerb wird stark durch die Interessen des Kindes geleitet. Der Lehrer bietet Hilfestellungen an und setzt Impulse.
Kinder, die Probleme beim Schriftspracherwerb haben, profitieren von Lehrgangskonzepten anscheinend stärker als von offenen Unterrichtsmethoden. Wenn man bedenkt, dass die Mehrzahl der Kinder mit Problemen beim Lesen und Schreiben Jungen sind, sollte man einmal überlegen, ob Jungen und Mädchen nicht von unterschiedlichen Methoden profitieren könnten.

Wie lässt sich das Lesen bei Jungen fördern?

Die Frage sollte eher lauten: Wer kann Jungen besonders gut fördern? Hier müssen eindeutig die Männer mit ins Boot geholt werden. Das beginnt schon in den Familien. Ein Vater, der ein genussvoller Leser ist, ist das beste Vorbild für den Sohn. Achten Sie als Eltern darauf, dass Söhne das Lesen nicht nur mit Frauen in Verbindung bringen. Wie kann das aussehen? Väter können genauso gut Geschichten vorlesen wie Mütter. Auch der Vater kann mit seinem Sohn in den Buchladen oder die Bücherei gehen. Sie müssen hier keine strickte Geschlechtertrennung einführen, aber klopfen sie doch mal ab, wer in ihrer Familie die Kinder eher mit Büchern konfrontiert. Und wenn sie da ein Ungleichgewicht feststellen, dann holen sie sich neben dem Vater vielleicht noch den Opa oder den großen Bruder mit ins Boot. Es muss ja auch nicht immer nur die Mama sein, die mit ihrem Sohn das Lesen übt.
Das gleiche gilt für den Kindergarten und die Schule. In vielen Einrichtungen gibt es ja schon Lesepaten oder Lesemuttis. Es wäre gerade für die Jungen eine große Hilfe, wenn es auch Lesepapis, Leseopis und große Lesebrüder geben würde.
Und dann geht es natürlich um die geeignete Literatur. Was interessiert Jungen? Bei Sachthemen ist die Auswahl vielleicht nicht ganz so schwierig. Man orientiert sich an den Hobbys und Interessen des Jungen. Bei fiktiver Literatur wird es da schon schwieriger. Auch hier sollte man sehr genau hinsehen, welche Themen Jungen besonders interessant finden, mit welchen Figuren und Themen sie sich identifizieren können.

Und wer kann einem gute Literatur für Jungen empfehlen? Am besten die Jungen selber.