Das Lesen und ich

Kirsten Boie
Oetinger Verlag

Ratgeber

Jedes Kind muss Lesen lernen! Diese klare Forderung stellt die renommierte Kinderbuchautorin Kirsten Boie an die Politik. Denn Kinder, die lesen, werden auch zu mündigen Bürgern. Kirsten Boie erzählt, wie sie selbst das Lesen entdeckte und sich ihr völlig neue Welten und Wege eröffneten. Und das gilt damals wie heute: Das Lesen hat einen unschätzbaren Wert für unsere Gesellschaft und unsere gemeinsame Zukunft.  Quelle: Oetinger Verlag

Leseempfehlung

von Sabine Kruber

Kirsten Boie startete am 15. August 2018 gemeinsam mit 26 Gleichgesinnten aus Hamburg die Petition „Jedes Kind muss lesen lernen“. Diese auch als Hamburger Erklärung bekannte Petition richtet sich an das Bundesministerium für Bildung und Forschung, aber auch an die gesamte deutsche Gesellschaft.
Die Unterzeichner der Petition beziehen sich auf die Internationale IGLU-Studie von 2016, die belegt, dass ein Fünftel der Zehnjährigen in Deutschland (18,9%) nicht so lesen können, dass sie Texte dabei auch verstehen.
Kirsten Boie ist eine großartige Botschafterin für das Lesen, die sich unermüdlich dafür einsetzt, dass sich die Bedingungen, die Kinder brauchen, um Lesen zu lernen, verbessern.
In diesem Zusammenhang entstand auch das kleine Büchlein Das Lesen und ich.

In diesem Buch erzählt Kirsten Boie, wie sie selbst zur Leserin wurde. Dabei zeigt sie sehr gut, wie die Einflüsse aus dem direkten Umfeld eine wichtige Rolle spielen. Dies ist nicht nur die Familie, sondern auch das gesellschaftliche Umfeld und die Bedingungen, unter denen Kinder aufwachsen. Die Kindheit der Autorin lag in den 50ger Jahren. Eine Zeit großer Entbehrungen. Bücher waren keine Selbstverständlichkeit. Aber es gab auch keine großartige Ablenkung für den eigenen Geist und die Fantasie. Bücher übten auf Kinder damals eine ganz andere Anziehungskraft aus als heute, einfach deshalb, weil die Buch-Konkurrenz de facto nicht vorhanden war und dies ist heute natürlich anders.
Wenn viele Kinder heute nicht mehr richtig lesen lernen, liegt dies nicht ausschließlich an den Eltern oder Lehrern, auch wenn diese eine wirklich wichtige Rolle spielen. Da gibt es die riesige Konkurrenz der Medien. Kinder, die mit dem Lesen beginnen, sind heute schon wahre Geschichtenprofis. Sie haben unzählige Stunden an Serien und Filmen mit komplexen Handlungen gesehen. Kinder, denen von Anfang an vorgelesen wurden, sind erst Recht mit komplexen Geschichten vertraut und nun werden sie beim Lesen auf einfachste Geschichten hinuntergebrochen. Geschichten, denen sie inhaltlich eigentlich schon längst entwachsen sind. Es dauert und es braucht Geduld, bis sich die eigene Lesekompetenz soweit entwickelt hat, dass man Harry Potter nicht nur als Film sehen, sondern auch als Buch selber lesen kann.
In Geschichten abzutauchen, ist heute also viel einfacher, als es dies in der Kindheit der Autorin der Fall war. Lesen braucht man dafür nicht mehr unbedingt. Die Autorin betont aber, dass ihr Plädoyer für das Lesen kein Plädoyer gegen den Film ist.
Ein Buch jedoch kann viel mehr als ein bewegtes Bild, denn das Bild muss beim Lesen ja erst entstehen und dazu braucht es Fantasie. Beim Lesen muss man sich in die Figuren einfühlen, um sie verstehen zu können. Man muss ihre Sichtweise annehmen könne, auch wenn es nicht die Eigene ist. Dies nennt man Empathie – eine wichtige Fähigkeit im Leben. Das lernt man natürlich nicht nur durch das Lesen, aber mit dem Lesen lernt man es bestimmt leichter.

Doch in dem Buch geht es nicht nur darum, wie Kirsten Boie zur Leserin wurde. Als ehemalige Lehrerin, die auch Deutsch unterrichtet hat, kann sie natürlich auch viel über den Schriftspracherwerb sagen. Lesen und Schreiben sind im Menschen nicht veranlagt. Es gibt im Gehirn keine spezielle Region dafür. Umso erstaunlicher, dass sich bereits vor langer Zeit Schriftsprachen unabhängig voneinander auf der ganzen Welt entwickelt haben.
Kirsten Boie schreibt in ihrem Buch, dass das Lesen auch die Rechtschreibung unterstützt. Wer viel liest, ist also auch gut in Rechtschreibung. Dies stimmt leider nicht so ganz. Es ist sicher richtig, dass man durch das Lesen einen großen Wortschatz erwirbt und flexibel mit Wörtern umgehen kann. Dies hilft bei so wichtigen Rechtschreibregeln wie zum Beispiel bei der Ableitung. Aber prinzipiell sind Lesen und Schreiben zwei Prozesse, die im Gehirn unterschiedlich verarbeitet werden. Es gibt sogar Untersuchungen dazu, dass man schwere Wörter, nur weil man sie x-mal gelesen hat, nicht unbedingt korrekt schreiben muss. Auch wenn Lese- und Schreibstörungen häufig gemeinsam auftreten, so gibt es doch auch isolierte Lese- und Schreibstörungen. Aus guten Lesern werden also nicht unbedingt auch gute Rechtschreiber.

Aber in vielen anderen Dingen hat Kirsten Boie absolut recht. Ihre Leidenschaft für das Lesen ist ansteckend und macht Mut. Ja, es lohnt sich, dafür zu kämpfen, dass jedes Kind Lesen lernt.

Fazit: ein leidenschaftliches Plädoyer für das Lesen

 

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