Ein mittelschönes Leben

Kirsten Boie & Jutta Bauer
Carlsen Verlag

Alter 8-99 /WM/Lesbarkeit: einfach / Textumfang: L (32 Seiten)

Früher war der Mann auch mal Kind, das ist ja logisch. Jeder war früher mal ein Kind. Da hat er mit seinen Eltern in einer hübschen kleinen Wohnung gewohnt. Nach der Schule hat er eine Ausbildung gemacht. Er ist jeden Morgen früh aufgestanden und zur Arbeit gegangen. Als der Mann dann eine Familie hatte, war das eine schöne Zeit. Aber dann ist das Unglück gekommen.
"Ein mittelschönes Leben" erzählt auf einfühlsame Weise die Geschichte eines Mannes, der obdachlos wurde. Ein wichtiges Buch, das zum Nachdenken und zum Gespräch anregt. Quelle: Carlsen Verlag

Leseempfehlung

von Sabine Kruber

Kirsten Boie entwickelte Ein mittelschönes Leben gemeinsam mit dem Hamburger Straßenmagazin Hinz&Kunzt. Anhand des Schicksals eines Mannes zeigt sie sehr kindgerecht auf, warum ein Mensch obdachlos werden kann. Die Ursachen hierfür sind bestimmt vielfältiger als in der vorliegenden Geschichte, aber das würde Kinder mit dem angegebenen Lesealter noch überfordern.
Schritt für Schritt entgleitet dem Mann sein Leben. Der Leser erfährt jedoch nicht, wie der Mann heißt und damit bleibt er auf diese Weise ein Stück weit genauso anonym, wie die Obdachlosen, die man jeden Tag an denselben Stellen sieht und an denen man vorbeigeht, immer darauf bedacht, keinen Blickkontakt herzustellen – sei es, dass man sie als „Penner“ abgestempelt hat oder aber, weil man sich ihnen gegenüber selbst hilflos fühlt.
Die Geschichte beginnt an dem Punkt, wo der Mann selbst noch ein Kind war und ein Leben führte, wie die meisten Kinder in Deutschland auch. Sich mit ihm in diesem Moment zu identifizieren, fällt nicht schwer. Der Leser erfährt, wie der Mann erwachsen wurde, einen Beruf erlernte und eine Familie gründete. Doch dann beginnt der Abstieg. Er verliert seine Arbeitsstelle, seine Frau verlässt ihn mit den Kindern und er beginnt zu trinken. Irgendwann kann er seine Rechnungen und seine Miete nicht mehr bezahlen und landet auf der Straße. Dort endet die Geschichte mit dem Wunsch des Mannes, dass seine Kinder ihn so nicht sehen mögen.

Am Ende des Buchs finden sich Fragen von Grundschulkindern an die obdachlosen Verkäufer des Straßenmagazins Hinz&Kunzt. Dies sind Fragen, die vermutlich auch Erwachsene gerne einmal stellen würden, sich aber nicht trauen. Gewöhnt man sich daran, auf der Straße zu leben? Warum lieber auf der Straße als im Obdachlosenheim schlafen? Oder auch: Wie feiern Sie Weihnachten?
Hinzu kommen noch weiterführende Erklärungen.
Mehr über das Projekt, weitere Interviews sowie ein Unterrichtsmodell für die Klassen 3–5 findet man auf der Webseite des Projekts.
Das Buch hat einen überschaubaren Textumfang (L) und eine einfache Lesbarkeit. Das Lesesinnverständnis wird außerdem auf jeder Seite durch Illustrationen unterstützt. Die Serifenschrift ist noch etwas größer und die Zeilenabstände etwas weiter. Auch schwächere Leser oder Leser mit wenig Ausdauer sollten mit dem Text gut zurechtkommen. Ansonsten kann man auch begleitend das Hörbuch einsetzen.
Es werden beim Lesen aber garantiert Fragen auftauchen, daher empfehle ich, das Buch mit Kindern gemeinsam zu lesen.

Obwohl sich das Buch primär an Kinder richtet, empfehle ich es auch Jugendlichen und Erwachsenen. Man führt sich einfach viel zu selten vor Augen, wie schnell man in solch eine Abwärtsspirale geraten kann, die in der Obdachlosigkeit endet. Und vielleicht hilft dieses Buch auch dem ein oder anderen dabei, Vorurteile abzubauen.

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