Sommer unter schwarzen Flügeln

Band 1

Peer Martin
Oetinger

Deutscher Jugendliteraturpreis 2016

Alter: ab 16/All Age /WM /Lesbarkeit: normal /Textumfang: XXL (528 Seiten)

Nuri kommt aus Syrien und lebt im Asylbewerberheim. Calvin wohnt nur wenige Häuser weiter und ist Mitglied einer rechten Jugendgang. Als sie sich kennenlernen, erzählt Nuri ihm von ihrem Heimatdorf am Rand der Wüste und von dessen Schönheit. Doch dann kamen die Schwingen des Bösen und legten sich über das ganze Land. Je mehr Calvin über das Mädchen mit den dunklen Augen erfährt, desto mehr verliebt er sich in sie. Calvin möchte seine Gang verlassen – doch so einfach entkommt er seinen alten Freunden nicht. Quelle: Oetinger Verlag

Leseempfehlung

von Sabine Kruber

Dieses Buch ist kein einfaches Buch. Es wühlt auf, wirkt nach – noch lange, nachdem man es beiseitegelegt hat. Und es ist hochaktuell. Es geht um den Krieg in Syrien, um Menschen, die flüchten müssen und um Deutsche, die diesen Menschen hilfsbereit oder mit Hass und Ablehnung gegenüberstehen. Fast täglich erfahren wir darüber in den Nachrichten, aber machen wir uns darüber überhaupt noch Gedanken?
Erzählt wird die Geschichte von dem syrischen Mädchen Nuri und dem Jungen Calvin, der in einem rechtsradikalen Milieu groß geworden ist. Beide sind 18 Jahre alt. Das erste Mal begegnen sie sich bei Frau Silbermann. Die alte Dame, die Auschwitz überlebt hat, gibt Nuri Deutschunterricht und mit Calvins Brüdern übt sie Lesen und Schreiben. Im Laufe der Geschichte ist sie den beiden jungen Menschen eine große Stütze und Calvin, den Neonazi gibt sie nicht auf.
Calvin will Nuri nicht mögen, doch Nuri beginnt zu erzählen – von Syrien, ihrer Kindheit, ihrer Familie, den Freunden, dem Krieg und der Flucht. Nuri erzählt, obwohl Calvin das am Anfang gar nicht will. Sie gehört doch zu denen - den Asylanten - denen aus dem Heim – die, die alle wegsollen, wenn es nach ihm und den Freunden aus seiner rechten Clique geht. Auf das Asylbewerberheim, in dem Nuri lebt, wollen sie einen Anschlag verüben und Calvin soll sie dabei anführen.
Doch je mehr Calvin sich auf Nuri und auf das, was sie erzählt einlässt, desto mehr gerät er in einen inneren Konflikt. Er verliebt sich in sie, zunächst gegen seinen Willen. Und er beginnt nachzudenken, seine stereotypen Denkweisen zu hinterfragen und schließlich abzulegen. Doch kann er den Anschlag auf das Asylbewerberheim noch verhindern?

Die Geschichte wird aus Nuris und aus Calvins Perspektive erzählt. Auch wenn die Figuren am Anfang etwas stereotyp wirken, gelingt es dem Autor sehr schnell, das Stereotype hinter sich zu lassen.
Calvins Sprache ist eher rau und passt in den sozialen Brennpunkt, in dem er lebt. Seine Eltern leben getrennt und seine Mutter ist mit den drei Jungs überfordert. Halt erfährt Calvin in seiner Familie nicht. Diesen Halt findet er nur in seiner Clique. Und wenn er nun Anführer dieser Clique wird, dann wäre sein Vater, der ebenfalls in rechten Kreisen aktiv ist, bestimmt sehr stolz auf ihn.
Ganz anders ist Nuris Sprache. Voller Poesie beginnt sie über Syrien, dem Land ihrer Kindheit zu erzählen. Doch je mehr sie erzählt, desto mehr dunkle Schatten legen sich über das Leichte und Schöne. Es sind schwarze Flügel, die Nuri sehen kann, längst bevor die anderen sie sehen. Es bleibt nicht bei der Poesie. Nuri erzählt Calvin schließlich auch von der Folter, den Gefängnissen, dem Krieg. Nicht nur für Calvin, auch für den Leser ist dies schwer zu ertragen. Der Autor Peer Martin hat hier sehr gut recherchiert. Nach seinem Studium der Sozialpädagogik arbeitete er mit Jugendlichen in Berlin, Brandenburg, Vorpommern und auf der Insel Rügen. Seine Erfahrungen, die er während dieser Zeit gesammelt hat und die Gespräche mit einem syrischen Freund brachten ihn schließlich auf die Idee zu diesem Roman.
Das Buch besteht aus siebzehn ziemlich umfangreichen Kapiteln. Am Anfang eines jeden Kapitels stehen zwei gegenteilige Aussagen, meist Zitate oder Sprüche. Sie regen zum Nachdenken an. Am Ende eines Kapitels finden sich Links, die zu informativen Seiten führen. Weitere Informationen findet man außerdem auf der zum Buch gehörenden Webseite.

Das Buch selbst hat eine normale Lesbarkeit mit einer Tendenz zu einer einfachen Lesbarkeit. Es ist jedoch sehr umfangreich. Leider gibt es kein Hörbuch dazu. Ich empfehle daher Lesern, die mit diesem Umfang noch Probleme haben, sich für die Lektüre einen Lesepartner zu suchen. Man kann sich das Buch sehr gut gegenseitig vorlesen. Der Inhalt erzeugt auf alle Fälle Gesprächsbedarf.
Da es sich bei der Schrift um eine normalgroße Serifenschrift handelt und auch die Zeilenabstände nicht weiter auseinanderliegen, empfehle ich Lesern, die Probleme mit der visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung haben, das E-Book.

Fazit: Jeden Tag sehen und lesen wir in den Medien etwas über Syrien. Es ist für viele von uns schon schreckliche Normalität geworden. Wir denken nicht mehr weiter darüber nach. Daher ist Sommer unter schwarzen Flügeln so ein wichtiges Buch. Krieg und Flucht sollten uns nämlich niemals egal sein. Daher empfehle ich das Buch nicht nur Jugendlichen, sondern auch Erwachsenen. Außerdem eignet es sich hervorragend als Schullektüre in den oberen Klassen.

 

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