Im Labyrinth der Buchstaben

Ein Leben mit Legasthenie

Karin Moering
underDog Verlag

Alter: Jugendliche und Erwachsene/WM/Lesbarkeit: Basisfähigkeiten - normal/ Textumfang: XL (212 Seiten)

Kati (damaliger Spitzname von Karin Moering) merkt schnell, dass sie nicht so lernen kann wie die anderen Kinder. Die Buchstaben verwirren sich vor ihren Augen, fügen sich nicht zu Wörtern. Das wissbegierige Mädchen wird als lernbehindert abgestempelt und in eine Sonderschule gesteckt. Keiner fördert hier die Kinder. Dafür hagelt es Schläge und Demütigungen. Legasthenie ist im Bildungssystem der 60er Jahre unbekannt. Kati verlässt die Schule, beinahe ohne lesen und schreiben zu können. Allgegenwärtig ist die Scham, dies zu verbergen. Sie zieht nach Berlin und schlägt sich als Hilfsarbeiterin durch. Aber tief in ihrem Inneren weiß sie, dass mehr in ihr steckt. Quelle: underDog Verlag

Leseempfehlung

von Sabine Kruber

Dies ist die bewegende Geschichte von Karin Moering. Sie hat erst im Erwachsenenalter richtig Lesen und Schreiben gelernt und bis dahin war es ein harter Kampf. In ihrer Biografie erzählt sie, welch schweren Weg sie gegangen ist. Dieses Buch kann wirklich jedem Mut machen, der den langen, beschwerlichen Weg noch vor sich hat und es zeigt, dass es sich lohnt, niemals aufzugeben. Außerdem hilft dieses Buch, Vorurteile abzubauen. Menschen, die mit dem Lesen und Schreiben nie Probleme hatten, zeigt es sehr gut, dass Legasthenie und funktionaler Analphabetismus nichts mit Dummheit zu tun haben.
In den 60ger Jahren war das Thema Legasthenie noch weitgehend unbekannt. Den Kindern wurde einfach unterstellt, sie wären dumm. Die Schulzeit war auch für Karin Moering eine einzige Demütigung. Selbst wenn es heute keine Schläge mehr hagelt, das Thema Teilleistungsstörungen ist immer noch nicht wirklich in unserem Bildungssystem angekommen. Auch gibt es immer noch Lehrer, die mit Legasthenie nichts anfangen können und die Kinder weiterhin als Dummköpfe abstempeln und demütigen. Zum Glück gibt es heute aber auch schon viele Lehrer, die sich sehr wohl mit Legasthenie auskennen und im Rahmen ihrer Möglichkeiten die betroffenen Kinder und ihre Familien unterstützen. Auch Familien reagieren heute meist sensibler auf das Thema als zur Schulzeit Karin Moerings, aber sie werden immer noch häufig genug alleine gelassen. In der Schule gibt es nur selten eine adäquate Hilfe und eine fundierte Förderung muss in der Regel aus eigener Tasche bezahlt werden. Nur selten springt das Jugendamt ein. Kinder aus armen Familien haben nach wie vor kaum eine Chance. Das Ergebnis: In Deutschland haben wir 7,5 Mio. funktionale Analphabeten. Dabei handelt es sich um Menschen, die alle das deutsche Schulsystem durchlaufen haben.
Welch wichtige Schlüsselqualifikationen Lesen und Schreiben sind, zeigt der Lebensweg von Karin Moering sehr anschaulich. Lange Zeit konnte sie nur als Hilfsarbeiterin in Fabriken arbeiten. Diese einfachen Tätigkeiten werden heutzutage aber meistens schon von Computern und Maschinen verrichtet, sodass es Menschen ohne Grundbildung heute noch schwerer auf dem Arbeitsmarkt haben. Auf die Schrift stößt man aber auch bei alltäglichen Dingen – das Lesen von Busfahrplänen, Beipackzettel von Medikamenten, die Speisekarte im Restaurant. Das sind alles schier unüberwindbare Hürden, wenn man nicht lesen und schreiben kann.
Schlussendlich war es ein Buch, das Karin Moering dazu brachte, sich auf den Weg zu machen und Lesen und Schreiben zu lernen. Sie fand das Buch - einen Dreihundertseitenwälzer -in einer Krabbeltheke. Leider erfährt der Leser nicht, um welches Buch es sich dabei handelte. Das Buch entfachte in ihr die Lust auf‘s Lernen. Karin Moering kämpfte sich durch die 300 Seiten und erfuhr somit, dass sie ihre Situation selbst verändern konnte, wenn sie an sich glaubte und an sich arbeitete. Sie nennt es selbst Abenteuer der Selbstschulung. Ihre Motivation erfuhr zwar so manchen Dämpfer, weil ihre Umwelt wenig Verständnis für sie aufbrachte oder weil sie auch selbst immer wieder in alte Denkmuster fiel, aber sie ließ sich nicht beirren. Schließlich überwand sie sich sogar und erzählte anderen Menschen von ihren Problemen mit dem Lesen und Schreiben und welche Demütigung Schule für sie bedeutet. Das führte sie dann zum Grundbildungszentrum und dort drückte sie zum ersten Mal nach vielen, vielen Jahren wieder die Schulbank. Während dieser Zeit wandelten sich auch ihre Jobs und sie lässt die eintönige Fabrikarbeit hinter sich. In ihr entstand der Traum Arbeit, Hobby und Soziales miteinander zu verbinden. Sie machte den Hauptschulabschluss, besuchte eine Kunstakademie, ging in Richtung Therapie und arbeitete schließlich mit dieser Kombination mit demenzkranken Menschen. Erst sehr spät erfuhr sie, dass ihre Schwierigkeiten mit dem Lesen und Schreiben einen Namen haben: Legasthenie. Und so machte sie auch noch einen Fernlehrgang zum Legasthenie-Trainier. Karin Moering nennt diese Zeit selbst einen therapeutischen Schulungsweg und dieser führte sie schließlich wieder zurück an eine Sonderschule. So schloss sich der Kreis zu ihrer Kindheit.

Da das Buch eine normale Lesbarkeit hat und der Textumfang (XL) recht hoch ist, empfehle ich allen, die dieses Buch noch nicht selber lesen können, es sich unbedingt vorlesen zu lassen. Wer schon Erfahrung mit einfachen Lesetexten hat, der kann es aber auch ebenso handhaben wie Karin Moering – sich durch das Buch durchkämpfen. Es lohnt sich. Die Schrift kommt Menschen, die Schwierigkeiten mit der visuellen Wahrnehmung und Verarbeitung haben, auf alle Fälle entgegen. Es handelt sich um eine etwas größere serifenlose Schrift mit etwas weiteren Zeilenabständen.

Fazit: Unbedingt lesen oder vorlesen lassen. Wer gerne Biografien liest, dem wird dieses Buch bestimmt gefallen. Ich empfehle Karin Moerings Buch aber auch all jenen, die nicht glauben, dass sie es selber schaffen können und jenen, die einfach nicht verstehen wollen, dass Menschen mit Legasthenie nicht dumm sind.

 

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