Es steht geschrieben

Von der Keilschrift zum Emoji

Vitali Konstantinov
Gerstenberg Verlag

Alter 10-99 /WM/Lesbarkeit: normal - anspruchsvoll / Textumfang: L (80 Seiten)

Wer schreibt, der bleibt! Ritzmuster auf Steinen, Muscheln und Knochen, Sandzeichnungen oder Botschaften auf Birkenrinde: Bereits unsere Vorfahren hatten das Bedürfnis, sich mit einfachen oder auch komplizierten Zeichen mitzuteilen. Und wir tun es ihnen bis heute nach! Ob mit Griffel, Füllfeder oder Smartphone – überall auf der Welt senden wir uns täglich Tausende von Nachrichten und halten unsere Gedanken schriftlich fest.
Dieses Buch folgt in augenzwinkerndem Graphic-Novel-Stil der Entstehung von weit über 100 Schriften in aller Welt von den Anfängen bis in unser Computerzeitalter: von der Keilschrift über altägyptische Hieroglyphen und das griechische Alphabet bis hin zu Emojis und Kunstschriften wie Klingonisch. Quelle: Gerstenberg Verlag

Leseempfehlung

von Sabine Kruber

In meiner Praxis für Legasthenietherapie helfe ich Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen, die sich mit dem Lesen und Schreiben schwertun. Erstaunlich häufig werde ich vor allem von Kindern gefragt, wer das (blöde) Lesen und Schreiben eigentlich erfunden hat. Diesem Mann oder dieser Frau würde man doch gerne mal so richtig schön die Meinung geigen. Warum muss das so schwer sein mit den Buchstaben? Warum muss man auf so viele Regeln achten? Warum kann man nicht einfach schreiben, wie einem der Schnabel gewachsen ist?
Für Kinder ist es zunächst unbegreiflich, wie alt unsere Schriftsprache ist und woraus sie sich entwickelt hat. Dass die Buchstaben, die wir nutzen, gar nicht von uns erfunden wurden und dass das vielleicht schon einer der Gründe ist, warum es beim Schreiben so viele Stolperfallen gibt.
Wie sahen denn die Anfänge des Schreibens aus? Höhlenmalereien, Keilschriften, Hieroglyphen.
Schriftsysteme entstehen, entwickeln sich weiter, verschwinden wieder, manche konnten sich nie durchsetzen.
Am Anfang war das Sprechen. Irgendwann vor langer, langer Zeit kamen die Menschen dann auf die Idee, das Gesagte zu konservieren, für die Nachwelt festzuhalten, es aufzuschreiben. Die Entwicklung des Lesens und Schreibens hat bisher schon einen langen Weg hinter sich – von der Keilschrift zum Emoji. An der Entwicklung waren und sind viele, viele Menschen beteiligt. Es gibt also leider keinen Verantwortlichen, dem man so richtig schön die Meinung geigen könnte.
Vitali Konstantinov nimmt die Leser auf eine spannende aber auch anspruchsvolle Reise mit, die weit in die Vergangenheit reicht.
Jenseits unseres eigenen Alphabets gibt es so viel zu entdecken: Piktogramme, Ideogramme, Phonogramme, Syllabogramme Abugidas, Abjads. Die meisten dieser Begriffe dürften nur Linguisten bekannt sein. Es ist ein gewagtes Experiment, dieses Thema schon Kindern ab 10 Jahren anzubieten, kann aber gelingen, wenn man junge Leser mit dem Thema nicht alleine lässt, denn das dürfte die meisten noch überfordern. Das Buch würde beiseitegelegt werden und als langweilig empfunden werden. Das wäre schade und muss nicht sein.
Es ist z.B. spannend, sich mal die eigenen Sprechorgane anzusehen, mit denen wir die Laute bilden, die zu Wörtern zusammengefügt werden. Vielen Kindern wird vielleicht erst so klar, was Laute überhaupt sind. Ach ja – und wir haben viel mehr Laute als Buchstaben. Das ist auch einer der Gründe, warum das mit dem Lesen und Schreiben so kompliziert ist.
Warum können wir nicht schreiben, wie uns der Schnabel gewachsen ist? Auch dieser Frage kann man mit dem Buch hervorragend nachgehen.
Und die Entwicklung des Schreibens kennt noch kein Ende. Neben den auch uns bekannten Reformen werden auch immer noch Schriften neu erschaffen. Es gibt richtige Schriften-Schöpfer. Manch ein Herrscher, der an die Macht kam, hat auch gleich ein neues Schriftsystem erfinden lassen. Länder, die lange kolonialisiert waren und unser Alphabet übernommen haben, zuvor aber nicht alphabetisiert waren, erfinden Schriftsysteme, die besser zu ihren Sprachen passen.
Und dann gibt es noch kreative Köpfe, die sich eigene Welten mit eigenen Sprachen und Schriften ausdenken. J.R.R. Tolkien tat dies mit Leidenschaft, aber auch für die Klingonen aus Star Trek wurde eine eigene Sprache und Schrift erfunden. Diese Sprachen und Schriftsysteme werden von Fans gesprochen, gelesen und geschrieben.

Es steht geschrieben ist eine Grafik Novel. Durch die vielen witzigen Zeichnungen und Kommentare in Sprechblasen wird das Thema aufgelockert. Die Seiten wären ansonsten doch sehr textlastig. Farblich ist das Buch sehr dezent gehalten. Schrift und Bilder sind schwarz geschrieben und gezeichnet. Ganz dezent wird auch rot eingesetzt. Zum Teil wirkt die Anordnung der Panels leider etwas ungeordnet, sodass man beim Lesen schon mal aus dem Konzept kommt. Bei der serifenlosen Druckschrift handelt es sich um eine imitierte Handschrift. Die Zeilenabstände sind etwas weiter, die Schriftgröße ist unterschiedlich, mal klein und mal relativ normal. Durch die vielen Fachbegriffe hat das Buch eine normale Lesbarkeit mit einer starken Tendenz zu einer anspruchsvollen Lesbarkeit. Trotzdem sollte dies nicht abschrecken, das Buch mit Kindern gemeinsam zu lesen. Auch im Deutschunterricht, im Förderunterricht und während der Legasthenietherapie kann man das Buch gut nutzen, da man hier zu vielen linguistischen Fragen eine Antwort findet. Von daher empfehle ich das Buch auch Erwachsenen, besonders Lehrern, Trainern und Therapeuten, die unsere Schriftsprache vermitteln.
Es steht geschrieben – nicht einfach zu lesen, aber es lohnt sich. Auch das Blättern macht Spaß und man kann einfach irgendwo hängen bleiben und sich festlesen. Ab und zu muss man noch mal an den Anfang springen. Auf den ersten Seiten werden viele Begriffe erklärt, die im Buch immer wieder auftauchen und die man sich bestimmt nicht alle merken kann. Falls das Selberlesen noch zu schwer ist – einfach vorlesen lassen.

Fazit: Eine spannende, wenn auch anspruchsvolle Reise in die Geschichte des Lesens und Schreibens.